Samstag, 1. Oktober 2016

"Der Mensch überragt in kognitiv-geistiger Hinsicht auch bei kritischer Betrachtung alle anderen Tiere. Aber ist er darin wirklich einzigartig? Wenn wir die kognitiven Leistungen der intelligentesten nichtmenschlichen Tiere, der Schimpansen und Gorillas, mit denen des Menschen vergleichen, so kommen wir zu dem Schluss, dass sie in den meisten kognitiv-geistigen Fähigkeiten dem Entwicklungsstand eines zweieinhalb- bis fünfjährigen Kindes entsprechen. Hinsichtlich der Sprachfähigkeit sind Schimpansen und Gorillas eher mit einem dreijährigen Kind vergleichbar, hinsichtlich psychosozialer Fähigkeiten eher mit einem vier- bis fünfjährigen Kind. Damit führt die Frage, ob sich menschliche Intelligenzleistungen quantitativ oder qualitativ von tierischen unterscheiden, überraschenderweise zu der Frage, ob ein Jugendlicher oder ein Erwachsener einem drei- bis fünfjährigen Kind auf kognitiv-geistiger Ebene quantitativ oder qualitativ überlegen ist. Abgesehen von der Ausreifung sozialer Kompetenzen geht es hierbei im Wesentlichen um die Entwicklung der syntaktisch-grammatischen Sprache in einem Alter von rund zweieinhalb Jahren, die beim Menschen einen großen intellektuellen und kommunikativen Schub auslöst. Ich habe [zuvor] dargelegt, dass eine wichtige Bedeutung dieser syntaktisch-grammatikalischen Sprache in der enormen Steigerung des Arbeitsgedächtnisses besteht und damit der Fähigkeit, aktuell neuartige Probleme oder bereits vorhandene Probleme neuartig zu lösen, also in dem, was man Intelligenz nennt. Die Sprache wird somit zu einem gewaltigen Intelligenzverstärker, wie es später die Schrift und noch später der Computer sind."

Wie einzigartig ist der Mensch?
Gerhard Roth (2010)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen