Dienstag, 1. Mai 2018

Gimpelpärchen, usw.:

Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse, 1974:

"Beim Gimpel, den wir durch die Studien J. Nicolais besonders genau kennen, würde man durch gleiche Beobachtungen und Folgerungen zu dem Ergebnis kommen, das Weibchen sei bei dieser Art, bei der die Paare jahraus, jahrein zusammenbleiben, dem Männchen ein für allemal rangordnungsmäßig überlegen. Die Gimpelfrau ist dauernd ein wenig aggressiv, beißt nicht selten nach dem Gatten, und selbst in der Zeremonie, mit der sie ihn begrüßt, im sogenannten »Schnabelflirt«, ist ein erhebliches Maß von Aggression, wenn auch in streng ritualisierter Form, erhalten. Der Gimpelmann dagegen beißt oder hackt nie nach seiner Frau, und wenn man in vereinfachend objektiver Weise die Rangordnung zwischen den Gatten nur nach dem Hacken und Gehacktwerden beurteilt, muß man sagen, sie sei ihm eindeutig übergeordnet. Sieht man aber genauer hin, so kommt man zu einer entgegengesetzten Ansicht. Wenn der Gimpelmann von seiner Frau gebissen wird, nimmt er keineswegs die Haltung der Unterwürfigkeit oder gar der Furcht an, sondern im Gegenteil die des sexuellen Imponierens, ja der Zärtlichkeit. Der Mann wird also durch das Beißen des Weibchens nicht in eine rangordnungsmäßig untergeordnete Position gedrängt, ganz im Gegenteil, sein passives Verhalten, die Art, wie er die Angriffe der Frau einsteckt, ohne aggressiv zu werden und vor allem ohne sich durch sie aus seiner sexuellen Stimmung bringen zu lassen, wirkt ausgesprochen »imponierend«, und zwar offensichtlich nicht nur auf den menschlichen Beobachter.

Völlig analog verhalten sich die Rüden von Hund und Wolf gegenüber allen Angriffen weiblicherseits. Selbst wenn diese durchaus ernst gemeint sind, wie in dem erwähnten Fall bei meiner Stasi, fordert das Ritual unbedingt von dem Rüden, daß er nicht nur nicht zurückbeißt, sondern das »Freundlichkeitsgesicht« mit hoch oben zurückgelegten Ohren und glatt breitgezogener Stirnhaut unentwegt beibehält. Keep smiling! Die einzige Abwehr, die ich in solchen Fällen je gesehen habe, und die interessanterweise auch Jack London in seinem Hunderoman ›Wolfsblut‹ erwähnt, besteht im seitlichen Schleudern mit dem Hinterkörper, das im höchsten Grad »wegwerfend« wirkt, besonders wenn ein schwerer Rüde, ohne sein freundliches Lächeln zu verlieren, eine keifend auf ihn eindringende Hündin meterweit zur Seite schleudert. 

Wir schreiben den Hunde- und Gimpeldamen nicht etwa allzu menschliche Eigenschaften zu, wenn wir behaupten, sie würden durch das passive Hinnehmen ihrer Aggression beeindruckt. Daß Un-Beeindruckbarkeit einen tiefen Eindruck macht, ist ein sehr allgemeines Prinzip, wie auch aus einer Beobachtung hervorgeht, die G. Kitzler wiederholt an kämpfenden Zauneidechsen-Männchen gemacht hat ..."

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